Ja, warum kann er mich gerne haben?
Ich hatte vor ein paar Tagen eine sehr spannende Unterhaltung mit einer Freundin zum Begriff Perfektion. Und, weil mich das so inspiriert hat, möchte ich euch daran teilhaben lassen!
Ein bisschen vorher ausgeholt…
Ich hatte meiner Freundin davon erzählt, dass mich das unglaublich stresst, dass ich im Moment so krank bin (eine sehr hartnäckige mittlerweile 3-wöchige Hals-Bronchen-Geschichte die nervt).
Und weil mir das nicht so gut geht, hatte ich auch nicht wirklich die Möglichkeit, angemessen die Übungen mit Higgins zu machen die wir als Hausaufgabe von der Hundeschule hatten.
Da es da um die Leinenführigkeit geht, ist mir das schon wichtig, dabei zu bleiben! Denn ich möchte ja auch irgendwann mal entspannt mit dem Hund spazieren (was meistens der Fall ist… aber so ein bisschen Ordnung darf da schon rein).
In der besagten Woche hätte ich dreimal täglich 5-10 Minuten (nur allein) die Leinenführigkeit üben sollen. Dazu kamen dann noch andere Aufgaben. Sodass im Endeffekt eineinhalb Stunden pro Tag geübt werden sollte.
Jeder kann es sich schon denken… das war bei mir nicht drin. Und so bin ich dann auch mit einem schlechten Gewissen zum neuen Trainingstag. Von perfekt war ich meilenweit entfernt.
Als wir da waren, fragte die Trainerin, ob noch wer Unterstützung braucht, oder die Übungen nicht machen konnte.
Darauf meldete sich eine andere Teilnehmerin und sagte, dass die Trainerin ja ausdrücklich gesagt hat, dass wenn man selbst nicht in der Verfassung ist, positiv ins Training zu gehen, dass man es lieber sein lassen soll. Man tut dem Hund und sich selbst keinen Gefallen! Und, dass sie eben wegen dieser Aussage die Woche nicht trainiert hat.
Das war kein Thema, die Trainerin ist mit ihr dann separat noch ein bisschen weiter gelaufen und sie haben die Übung noch einmal wiederholt, während wir anderen vorführen durften.
Das hat mir schon mal zu denken gegeben… denn diese Aussage der Trainerin hatte ich auch gehört und fand das sehr einleuchtend. Gemerkt habe ich sie mir allerdings für MICH selbst nicht.
Und dann sollten wir unsere Übung vorführen. Matthias hat dann also mit Higgins die Aufgabe vorgeführt. Und obwohl wir diese Woche nur insgesamt vier mal geübt hatten, haben die Beiden das fast ohne Korrektur geschafft! Da bin ich so dankbar, dass Higgins ein so toller Hund ist, der schnell kapiert und auch wirklich Bock auf Lernen hat!
Fertig mit Ausholen.
Ich habe dann meiner Freundin erzählt, dass mich das eben so sehr stresst und ich auch wütend auf mich werde, weil es nicht perfekt läuft (obwohl ich die Zeit dafür hätte).
Ich bin ja dann auch echt gut in Rechtfertigungen finden. Wer soll die Menge an Übungen denn wirklich jeden Tag schaffen? Weil, die reine Zeit an Übungen kann ja gar nicht eingehalten werden. Man muss sich, den Hund und die Übung erst einmal einstimmen. Man muss viel korrigieren, den Hund wieder irgendwo motivieren, usw.
Im Prinzip braucht man anstatt den eineinhalb Stunden, sicher mindestens 2-2,5 Stunden. Das kann ja keiner schaffen, der berufstätig ist.
Und wahrscheinlich stehen die Übungen und die verbundene Zeit auch nur in der Menge da, damit die Hälfte vielleicht wirklich erreicht wird. Also, ich kann hier noch ewig weiter machen… wird aber sicher langweilig zu lesen.
Und dann stellte mir meine Freundin die Frage, wer denn das perfekt bewertet!? Ähm ja, wer denn?
Perfekt war nämlich auch, dass die andere Teilnehmerin auf sich geachtet hat und nicht geübt hat! Es wird wahrscheinlich auch welche geben, die alle Übungen geschafft haben (was ich allerdings wage zu bezweifeln).
Insofern ist da die Spanne von Perfekt ziemlich groß.
Und so habe ich dann mein Gedanken-Karussell auf Highspeed angeschmissen…
Was bedeutet „perfekt“?
Was bedeutet „perfekt“ für MICH?
Wer bewertet, wann etwas „perfekt“ ist?
Also saß ich da eine Weile für mich und habe das erst einmal sacken lassen.
Zuerst kam mir die Erkenntnis, dass ich gerne perfekt sein will, sodass mir niemand einen Fehler vorwerfen kann (hier steigen wir dann wieder einmal in meine Vergangenheit/Traumata ein).
Ich von anderen gemocht werden will, weil ich mit meinen „perfekten“ Ergebnissen irgendwas schaffen kann.
Ich lege also quasi meine „Perfektheit“ in die Hände von anderen Menschen. Andere können bestimmen darüber, ob ich etwas perfekt gemacht habe, oder eben auch nicht. Um das noch einmal klar zu sagen… jemand anderes bekommt von mir (!) die Macht, mich zu bewerten. Von mir! So viele Facepalm-Emojis wie ich hier gerne einfügen möchte, wäre schon eine Verschwendung von Ressourcen!
Was ist für mich perfekt ? Hm, das bestmögliche Ergebnis.
Ist das bestmögliche Ergebnis nicht auch das, wenn man SEIN bestmögliches getan hat?
WER kann denn dann bewerten, ob ich mein bestmögliches gegeben habe?
Ich meine, meiner Meinung nach, habe ich das… immer.
Und dann kommt es ja auch noch auf so viele Faktoren an, die ich nicht beeinflussen kann! Also Tagesform, Aufgabengebiet, physische oder psychische Stabilität vorhanden, usw.
Für jemand Anderen kann das allerdings auch viel zu wenig sein – also weit weg von perfekt, oder bestmöglich.
Die nächste Runde auf meinem Karussell war dann, wenn eigentlich niemand von außen bewerten kann, ob ich tatsächlich mein Bestes gegeben habe, dann kann ich doch auch gar nicht perfekt sein!?
Oder auch andersrum gesehen, es hat faktisch niemand anderes die Möglichkeit (m)eine Perfektheit zu bestimmen. Also kann ich absolut perfekt sein! Einfach mal setzen lassen…
Und, weil für jeden einzelnen Menschen auf dieser großen schönen Erde sein eigenes Maß gilt, kann niemand die Perfektheit des Anderen bewerten.
Und nun denken sich bestimmt manche, „wie toll, dass sie das JETZT auch versteht!“.
Ich verstehe euch!
Natürlich gibt’s da schon so viele tolle Motivationssprüche, nette Beiträge und nicht zu vergessen eine ganze Industrie dazu.
Was ich auch gut kann ist, das Anderen verständlich zu machen! Denn, für Andere empfinde ich es tatsächlich auch so! Nur für mich selbst… da klappte das nicht.
Glühlampenfeld – AHOI!
Tatsächlich trägt da auch meine Traumatherapie dazu bei. Denn das was ich bisher gelernt habe, dass all die „komischen“ oder merkwürdigen Entscheidungen, die ich als Kind getroffen habe um überleben zu können genau zu diesem Zeitpunkt perfekt waren. Denn sie haben mich überleben lassen.
Das diese Entscheidungen immer noch greifen, obwohl ich mittlerweile „erwachsen“ bin und auch weitaus andere Möglichkeiten habe, das liegt daran das perfekt auch zeitlich ein dehnbarer Begriff ist. Und so arbeite ich daran, dass das „Perfekt“ von damals zu einem „Perfekt“ von heute werden darf.
Worauf wir dann noch auf einen anderen Einwand meiner Freundin kommen, dass „Perfektionismus“ oder „perfekt sein“ ein viel zu großes, unerreichbar scheinendes Wort ist.
Jap, das sehe ich auch so!
Sie hat für sich andere schöne Begriffe an Stelle von „perfekt“ gefunden!
Ich für mich lande immer irgendwie bei „gut“, oder „gut so“. Natürlich könnte man nun auch wieder zu diskutieren anfangen, dass es dann ja auch immer eine Steigerung wie z.B. „sehr gut“ geben kann. Ja, könnte man.
Ich finde „gut“ ein tolles, sehr weiches, kuscheliges, erreichbares und völlig perfektes Wort!
Ich visualisiere ja auch gerne…
Und so kann man sich meinen Perfektionismus als alten, mürrischen, großen, ziemlich steifen, Herren mit Glatze und Spitzbart vorstellen, der ein Auge zugekniffen hat und seine sehr schmalen Lippen noch schmaler werden, weil sie ständig aufeinander gepresst werden… also quasi ein ganz schmaler Strich. Seine Haut ist eher fahl und der matschgraue streng sitzende Anzug lässt da auch nicht wirklich viel Spielraum.
Dem habe ich nach meiner Karussellfahrt ein Makeover verpasst!
Ich habe ihm ein Post-it auf die Stirn geklebt mit der Aufschrift „gut“. Außerdem habe ich ihm noch einen Hoodie der kuscheligsten Sorte, eine quietschende (also quietschebunte) Jogginghose, Wollsocken und richtig coole Schlappen verpasst. Und damit da auch ein bisschen Farbe ins Gesicht kommt, bekommt er eine ordentliche Menge Cookies und Milch zum abwinken.
Jetzt werde ich nur aufpassen, dass der alte Mann sich in den Klamotten so wohl fühlt, dass er den Anzug irgendwann entsorgt.
Vielleicht schafft dieser Beitrag ja, dass noch ein anderer alter mürrische aussehender Perfektionismus ein Makeover verpasst bekommt! Falls ja, würde ich mich freuen, wenn ihr mir schreibt, wie er/sie/es bei euch aussieht vorher und nachher!
Alles Liebe,
Astrid